Wie Pat schwimmen lernte



Die See war ruhig. Am wolkenlosen Himmel ging die Sonne unter und das Abendrot spiegelte sich im Wasser. Am steinigen Ufer war ich auf einen Felsen geklettert und genoß die fast unwirkliche Stille.
Das Meer - wie faszinierend es doch war. Einmal aufgewühlt konnte es furchtbar wüten. Doch genauso konnte es daliegen wie hingegossen. Was für Gegensätze...
Ich war das erste Mal an der See, und es schien mir, als ob sie mich nun - da sie mich einmal hatte - nie mehr loslassen wollte...
Die Sonne war inzwischen endgültig untergegangen, und es wurde kühl. Aus meiner Träumerei gerissen mußte ich zusehen, daß ich ins Dorf zurückkam. Da ich kein Licht dabeihatte, mußte ich mir den Weg durch die Dunkelheit vorsichtig ertasten.

Es ging hoch her in der Schänke, die direkt am Hafen des Dorfes Kreopolis lag. Ein kleines Schiff war eingelaufen und hatte seine Mannschaft auf Landgang entlassen.
Ich setzte mich an die Theke und beobachtete die kleine Tochter des Wirts. Als ich so klein war, hatte auch ich die schweren Bierkrüge geschleppt... Doch ich verwarf die Erinnerung und genoß das frische Bier und das Essen.
Die Seefahrer schienen eine Menge Geld zu haben, denn ihre Tische bogen sich geradezu unter der Last der Humpen, Flaschen, Fleischplatten und Brotlaibe.
Es war ein ziemlich zusammengewürfelter Haufen. Die verschiedensten menschlichen Hautfarben waren zu sehen, zu hören war ein Kauderwelsch aus mir bekannten und unbekannten Sprachen, aus ein paar Haarschöpfen guckten spitze Ohren, und einer sah gar aus, als ob mindestens ein Elternteil ein Zwerg gewesen war. Fast ein Drittel der Mannschaft waren Frauen, aber sie trugen fast alle Hosen und waren auch nicht mit mehr Schmuck behängt als die Männer.
Zwei Frauen ragten jedoch irgendwie aus der Schar heraus. Die eine trug einen großen Hut mit einer langen seltsamen Feder daran und teilte ihr Fleisch mit einem außergewöhnlich schönen Dolch. Die andere war stolz herausgeputzt und trug eine protzige Goldkette mit einem Kreuz-Anhänger.
Ich hatte inzwischen die Mahlzeit beendet. Der Wirt stach gerade ein neues Faß an, und so beugte ich mich über die Theke und fragte ihn leise: "Was sind das für Leute?" - "Piratengesindel", grinste er gequält, "aber sie zahlen gut!" Aha, Seeräuber also. Ich hatte schon davon gehört, daß sich manche Leute ihren Lebensunterhalt auf See verdienten. Na ja, vielleicht nicht sehr edelmütig - aber damals, in der Söldnertruppe, war es mir auch egal gewesen, von wem das Geld stammte, das ich durch Kampf verdiente...
"He, Milchbart, was flüsterst Du mit dem Wirt?" rief eine Stimme durch den Raum, und im Augenwinkel erkannte ich, daß sie der Frau mit der Goldkette gehörte. Nun, mit meinen kurzen Haaren, den Hosen und dem weiten Hemd hielt man mich oft für einen Jüngling.
Es war schlagartig still geworden, und ich drehte mich langsam um: "Mh, ich fragte mich nur, wo so harmlose Fischer wie Ihr so viel Geld herhaben könnten...!, wies auf den Tisch und grinste.
"Harmlose Fischer", wiederholte ein riesiger Kerl mit Augenbinde und Schultern, breit wie ein Baum. Alles prustete und lachte los.
"Und weil wir so einen guten Fang gemacht haben, kannst Du mit uns trinken!" meinte die Frau mit dem Hut und sah mich mit blitzenden Augen an. Betont langsam erhob ich mich und ging auf den Tisch zu. Zwei Männer rückten etwas zu Seite, und ich nahm gegenüber den beiden Frauen Platz. "Nun, dann laßt uns diesen Riesenfisch begießen", meinte ich schelmisch und griff nach einem Krug. "Ich bin Pat O'Malley. Sláinte!" Die beiden prosteten mir zu und das Eis war gebrochen. Sie stellten sich mir als Kayleigh d'Anjou und Eysa Voolphawk vor, und wir verstanden uns auf Anhieb gut. Sie boten mir Rum an, und obwohl ich das Gesöff greuslich fand, hielt ich wacker mit.
Oh, dieses Zeug haute mächtig 'rein - was ich aber erst bemerkte, als ich hinauswankte, um hinter dem Haus mein Geschäft zu verrichten...
Als ich wiederkam, beendeten die Piraten gerade das Gelage und entlohnten den Wirt. Singend und teilweise schwankend verließen sie die Schänke. Plötzlich fühlte ich mich von hinten gepackt. Die zwei Männer, die neben mir gesessen waren, hoben mich einfach unter den Schultern hoch; und obwohl ich zappelnd und fluchend protestierte, warfen sie mich in hohem Bogen ins Wasser.
Was weder sie noch ich wußten: das Ufer fiel gerade an dieser Stelle steil ab, und ich fand keinen Grund. Und ich konnte nicht schwimmen!
Die Seeräuber standen lachend am Ufer, während ich verzweifelt um mich schlug und um Hilfe rief.
Irgendwann dämmerte es aber Kayleigh, daß ich nicht aus Spaß so schrie, und sie schickte ein paar Leute mit einem Boot zu mir.
Im Wasser war ich schlagartig nüchtern geworden, und ein letzter Rest Verstand setzte ein. Damals, im Dorf - die Ratten - ich hatte sie im Weiher schwimmen sehen, wenn wir Kinder sie verfolgten. Die Tiere bewegten einfach gleichmäßig ihre Beine - als ob sie liefen. Ich versuchte es, und tatsächlich blieb mein Kopf über Wasser, bis mich die Piraten aus dem Wasser zogen. Sie brachten mich ans Ufer und einer, El Mare genannt, sah mich besorgt an, als ich hustend das geschluckte Wasser erbrach.
"So wollte ich eigentlich nicht schwimmen lernen", krächzte ich und rappelte mich langsam auf.
"Wenn Du die See richtig kennen willst, mußt Du schon mit uns kommen!" meinte Kayleigh und hielt mir eine Rumflasche hin. Ich nahm die Flasche, überlegte kurz, und sagte meinen Wahlspruch: "Etwas besseres als den Tod werd' ich überall finden..."

Als das Schiff in aller Frühe auslief, stand ich an Deck und sah zum Land zurück.
Für mich hatte ein neues Leben begonnen.


©Andrea Schäfer

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