Wie Pat schwimmen lernte
- Die See war ruhig. Am wolkenlosen Himmel ging die Sonne unter
und das Abendrot spiegelte sich im Wasser. Am steinigen Ufer war ich
auf einen Felsen geklettert und genoß die fast unwirkliche
Stille.
- Das Meer - wie faszinierend es doch war. Einmal aufgewühlt
konnte es furchtbar wüten. Doch genauso konnte es daliegen wie
hingegossen. Was für Gegensätze...
- Ich war das erste Mal an der See, und es schien mir, als ob sie
mich nun - da sie mich einmal hatte - nie mehr loslassen wollte...
- Die Sonne war inzwischen endgültig untergegangen, und es
wurde kühl. Aus meiner Träumerei gerissen mußte ich
zusehen, daß ich ins Dorf zurückkam. Da ich kein Licht
dabeihatte, mußte ich mir den Weg durch die Dunkelheit
vorsichtig ertasten.
- Es ging hoch her in der Schänke, die direkt am Hafen des
Dorfes Kreopolis lag. Ein kleines Schiff war eingelaufen und hatte
seine Mannschaft auf Landgang entlassen.
- Ich setzte mich an die Theke und beobachtete die kleine Tochter
des Wirts. Als ich so klein war, hatte auch ich die schweren
Bierkrüge geschleppt... Doch ich verwarf die Erinnerung und
genoß das frische Bier und das Essen.
- Die Seefahrer schienen eine Menge Geld zu haben, denn ihre
Tische bogen sich geradezu unter der Last der Humpen, Flaschen,
Fleischplatten und Brotlaibe.
- Es war ein ziemlich zusammengewürfelter Haufen. Die
verschiedensten menschlichen Hautfarben waren zu sehen, zu hören
war ein Kauderwelsch aus mir bekannten und unbekannten Sprachen, aus
ein paar Haarschöpfen guckten spitze Ohren, und einer sah gar
aus, als ob mindestens ein Elternteil ein Zwerg gewesen war. Fast
ein Drittel der Mannschaft waren Frauen, aber sie trugen fast alle
Hosen und waren auch nicht mit mehr Schmuck behängt als die
Männer.
- Zwei Frauen ragten jedoch irgendwie aus der Schar heraus. Die
eine trug einen großen Hut mit einer langen seltsamen Feder
daran und teilte ihr Fleisch mit einem außergewöhnlich
schönen Dolch. Die andere war stolz herausgeputzt und trug eine
protzige Goldkette mit einem Kreuz-Anhänger.
- Ich hatte inzwischen die Mahlzeit beendet. Der Wirt stach gerade
ein neues Faß an, und so beugte ich mich über die Theke
und fragte ihn leise: "Was sind das für Leute?" -
"Piratengesindel", grinste er gequält, "aber sie
zahlen gut!" Aha, Seeräuber also. Ich hatte schon davon
gehört, daß sich manche Leute ihren Lebensunterhalt auf
See verdienten. Na ja, vielleicht nicht sehr edelmütig - aber
damals, in der Söldnertruppe, war es mir auch egal gewesen, von
wem das Geld stammte, das ich durch Kampf verdiente...
- "He, Milchbart, was flüsterst Du mit dem Wirt?"
rief eine Stimme durch den Raum, und im Augenwinkel erkannte ich,
daß sie der Frau mit der Goldkette gehörte. Nun, mit
meinen kurzen Haaren, den Hosen und dem weiten Hemd hielt man mich
oft für einen Jüngling.
- Es war schlagartig still geworden, und ich drehte mich langsam
um: "Mh, ich fragte mich nur, wo so harmlose Fischer wie Ihr so
viel Geld herhaben könnten...!, wies auf den Tisch und grinste.
- "Harmlose Fischer", wiederholte ein riesiger Kerl mit
Augenbinde und Schultern, breit wie ein Baum. Alles prustete und
lachte los.
- "Und weil wir so einen guten Fang gemacht haben, kannst Du
mit uns trinken!" meinte die Frau mit dem Hut und sah mich mit
blitzenden Augen an. Betont langsam erhob ich mich und ging auf den
Tisch zu. Zwei Männer rückten etwas zu Seite, und ich nahm
gegenüber den beiden Frauen Platz. "Nun, dann laßt
uns diesen Riesenfisch begießen", meinte ich schelmisch
und griff nach einem Krug. "Ich bin Pat O'Malley. Sláinte!"
Die beiden prosteten mir zu und das Eis war gebrochen. Sie stellten
sich mir als Kayleigh d'Anjou und Eysa Voolphawk vor, und wir
verstanden uns auf Anhieb gut. Sie boten mir Rum an, und obwohl ich
das Gesöff greuslich fand, hielt ich wacker mit.
- Oh, dieses Zeug haute mächtig 'rein - was ich aber erst
bemerkte, als ich hinauswankte, um hinter dem Haus mein Geschäft
zu verrichten...
- Als ich wiederkam, beendeten die Piraten gerade das Gelage und
entlohnten den Wirt. Singend und teilweise schwankend verließen
sie die Schänke. Plötzlich fühlte ich mich von hinten
gepackt. Die zwei Männer, die neben mir gesessen waren, hoben
mich einfach unter den Schultern hoch; und obwohl ich zappelnd und
fluchend protestierte, warfen sie mich in hohem Bogen ins Wasser.
- Was weder sie noch ich wußten: das Ufer fiel gerade an
dieser Stelle steil ab, und ich fand keinen Grund. Und ich konnte
nicht schwimmen!
- Die Seeräuber standen lachend am Ufer, während ich
verzweifelt um mich schlug und um Hilfe rief.
- Irgendwann dämmerte es aber Kayleigh, daß ich nicht
aus Spaß so schrie, und sie schickte ein paar Leute mit einem
Boot zu mir.
- Im Wasser war ich schlagartig nüchtern geworden, und ein
letzter Rest Verstand setzte ein. Damals, im Dorf - die Ratten - ich
hatte sie im Weiher schwimmen sehen, wenn wir Kinder sie verfolgten.
Die Tiere bewegten einfach gleichmäßig ihre Beine - als
ob sie liefen. Ich versuchte es, und tatsächlich blieb mein
Kopf über Wasser, bis mich die Piraten aus dem Wasser zogen.
Sie brachten mich ans Ufer und einer, El Mare genannt, sah mich
besorgt an, als ich hustend das geschluckte Wasser erbrach.
- "So wollte ich eigentlich nicht schwimmen lernen",
krächzte ich und rappelte mich langsam auf.
- "Wenn Du die See richtig kennen willst, mußt Du schon
mit uns kommen!" meinte Kayleigh und hielt mir eine Rumflasche
hin. Ich nahm die Flasche, überlegte kurz, und sagte meinen
Wahlspruch: "Etwas besseres als den Tod werd' ich überall
finden..."
- Als das Schiff in aller Frühe auslief, stand ich an Deck
und sah zum Land zurück.
- Für mich hatte ein neues Leben begonnen.
©Andrea Schäfer