Vierzig Wagen Wes-wärts!


Hier war Dramur nun, irgendwo in Tir Thuatha.Der junge Wali saß auf seinem Wagen und lenkte mehr schlecht als recht das Gespann.In dem Wagen waren neben seinen Habseligkeiten auch sein größter Schatz:Met aus seiner Heimat Waligoi!Vor und hinter ihm die anderen Wagen dieser seltsamen Expedition.Die Anführerin war die Abenteurerin Kim Ní Máire.Ihr Ziel war eine Stadt in Tir Thuatha.Wo diese genau liegt, wußte niemand aus diesem zusammengewürfelten Haufen.Und bis auf den Hügelprinzen wußte es wohl auch niemand in diesem Land.Doch Arkan mochte derzeit sonstwo seine seltsamen Späße treiben.

----------


Dramur lehnte sich zurück, um seinen schmerzenden Rücken in eine andere Position zu bringen.

"Verflucht!", zischte er kaum hörbar.

"Welcher Kobold hat mich geritten, daß ich mich hierauf eingelassen habe. Ich könnte jetzt mit aller Bequemlichkeit in irgendeiner Schenke sitzen. Statt dessen ruiniere ich mir hier bei dieser Fahrerei irgendwann noch mal meine Gesundheit."Verträumt blickte er einem Raben nach, der am Nachmittagshimmel schwebte."Aber hier, zwischen all diesen seltsamen Gestalten, wird man mich wohl nicht suchen."



Der Rabe senkte ganz langsam seinen Flug und Dramur lenkte seine Gedanken an andere Tage zurück.


----------


Da war die eigenartige körperliche und geistige Ähnlichkeit mit seinem Bruder Jalmur. Und dieser seltsame Unterton in der Stimme von Vater und Mutter, die auf Fragen immer wieder sagten: "Ihr wurdet am selben Tag geboren. Ihr seid Zwillingsbrüder."



Da war der eisige Wintertag, an dem sein Vater ihn und seine beiden Brüder zum ersten Mal mit in die Schenke nahm. Der honigsüße Trunk, den alle Met nannten, schmeckte besser als alles, was er jemals bisher probierte. An diesem Ort schien das Leben in seiner größten Vielfalt zu hausen. Ein Skalde trug sein Liedgut vor, Händler erzählten Geschichten von unbekannten Ländern, ein alter Kämpe erzählte von vergangenen Schlachten und die Bauern unterhielten sich über alltägliches.



All das nahm Dramur zusammen mit einer Luft auf, die eine Mischung verschiedenster Gerüche bildete: Braten und Met, brennendes Feuerholz und nasse Kleidung, den Schweiß getaner Arbeit und der Zufriedenheit der Anwesenden. Von dem Augenblick an wußte er, daß er das Handwerk eines Wirtes erlernen würde.Da war Jahre später der Streit mit seinem Vater, der ihn lieber auf dem Hof sehen wollte als in einer Schenke. Sie schlugen sich und Dramur fiel dabei in den Fluß und versank. Hätte er nicht heimlich in Kindertagen mit Jalmur zusammen Schwimmen gelernt, wäre er wohl in den reißenden Fluten ertrunken.

Da war die Nacht, in der Dramur beschloß, sein Heim zu verlassen, um in Nya Askivik bei irgend einem Schankwirt sein Glück zu machen. Allein von Jalmur verabschiedete er sich. Und nur ihm erzählte er von seinem Traum einer eigenen Schenke.Da war die Zeit, in der er das harte Leben eines Schankburschen führte. An einem derart heruntergekommenen Ort, der kaum das Wort Schenke verdient hatte. Wo er die Säufer und die am Schicksal Zerbrochenen kennenlernte, die so wenig mit den fröhlichen Leuten in der Schenke in Gröndal gemein hatten. Schließlich verließ er diesen Ort, der ihm sowenig eine Heimat geworden war wie ein eiskalter Luftzug ein Herdfeuer erwärmen kann.

Und er hörte Geschichten, in denen ein Wali namens Jalmur vorkam. Sollte dieser Wali etwa sein Bruder sein?

Dann war da der Tag, an dem diese Schlägerei stattfand. Der Wirt wurde dabei getötet. Dessen Bruder, eine finstere Gestalt, beschuldigte ihn als einen Mörder. Doch bevor man Dramur ergreifen konnte, floh er in die Eisländer.

Dort hielt er sich eine Zeit lang auf. Aber nie war er lange an einem Ort.

Dann schließlich faßte er den Entschluß, nach Friedborg zu gehen. Wenn dieser Jalmur aus den Geschichten wirklich sein Zwillingsbruder war, dann besaß er dort die Thinghalle.Und die Geschichten stimmten.

----------

Ein Ruck brachte Dramur wieder in die Wirklichkeit zurück. Bevor er jedoch seine Gedanken auf das Hier und Jetzt richten konnte, war er vom Wagen gefallen. Mit einem Fluchen erhob er sich.

"Verfluchte Biester! Nur ein einziges Loch in dieser Ödnis, und ihr müßt natürlich drüberfahren."



Ohne auf seine Worte zu reagieren trotteten seine Zugtiere derweil weiter ihren Weg durchs nirgendwo. Dramur humpelte hinter seinem Wagen her und sprang auf. Allerdings schaffte es das erst im zweiten Versuch. Er lehnte sich zurück und kratzte sich den Bart. Aus alter Gewohnheit und mangels nötigem Anlaß trug er ihn immer noch.



"Wenigstens laßt ihr euch nicht so leicht aus der Ruhe bringen.", lobte er sein Gespann. "Dieses Weibsstück Kim, die diesen Wagenzug führt, allerdings auch nicht. Verdammte Narren sind wir, ihr zu folgen. Außer einem Traum hat sie doch nichts; weder Ziel noch Richtung."

Mit einem Blick in die Ferne fügte er kaum hörbar hinzu: "Doch was haben wir schon mehr, außer einem Traum."

----------

Er dachte an das Wiedersehen mit Jalmur. Allein dessen erstaunter Blick war die Mühe und die Gefahr der Reise nach Friedborg wert gewesen. Dramur hatte in der Halle seines Bruders ein warmes Essen und Met erhalten. Es war lange her, als er zum letzten Mal Fleisch gegessen hatte. Und noch länger war es her, daß Dramur in Ruhe ein Horn Met getrunken hat. Ohne einen Gedanken an Verfolger wachzuhalten. Zumindest für diese Nacht war er sicher vor allen Feinden. Das Gefühl von Heimat und Geborgenheit umfaßte ihn.

Und dann erzählten sie sich ihre Erlebnisse.

Als der Morgen graute, kamen sie endlich zur Ruhe. Dramur schlief bis in den Nachmittag hinein. Das erste Mal seit unendlicher langer Zeit.Jalmur hatte ihm von seinen Zukunftsplänen erzählt. Er schwankte zwischen einer Fahrt mit zwei Freunden nach Neu Vesturgoi und einer Reise durch Tir Thuatha. Auf weiteres Anfragen erzählte Jalmur von seiner Begegnung mit Kim Ní Máire.



Sie hatte von Arkan, dem Hügelprinzen eine Stadt geschenkt bekommen. Nur hatte er ihr nicht verraten, wo diese Stadt zu finden sei. Doch Kim begann sorglos, einen Wagenzug zusammenzustellen. Sie hatte Leute aus allen Teilen der Welt angesprochen, Wesen aller möglichen Rassen. Mit den schönsten Worten, blumigsten Umschreibungen und schließlich den profitversprechensten Zukunftsaussichten hatte Kim auch Jalmur gefragt, ob er nicht Lust hätte, sie auf ihrer Suche zu begleiten und auf dem Treck und in der Stadt dann eine Schenke zu betreiben.

Dramur hatte in der vorangegangenen Nacht von seiner Ausbildung als Wirt erzählt. Nach einigem hin und her was Ausrüstung, Finanzierung und vor allem die Getränkeversorgung einer Schenke betraf, kamen sie zu einer Übereinkunft. Dramur würde sich dem Wagenzug anschließen und dort eine Schenke eröffnen. Den Wagen, das Gespann und den Met bekam er von Jalmur, der damit auch zum Geschäftspartner wurde. Diese Übereinkunft wurde noch bis in die Nacht hinein mit Met begossen.

Tags drauf kam dann der Abschied. Beide wußten nicht, wann sie sich wiedersehen würden. Doch sie wollten in Verbindung bleiben. Und sei es mit Hilfe dieser seltsamen Dinger, die Dramur in den Eisländern gefunden hatte und von denen jetzt er und Jalmur je eins trugen.

----------

Der Wali ließ seinen Blick über die Landschaft von Tir Thuatha schweifen. Der Tag neigte sich seinem Ende entgegen.`Und so verließ ich Waligoi.', dachte er.

`Ich traf Kim und stellte mich als Jalmurs Bruder vor. Er hatte mir vorsorglich ein Schreiben mitgegeben. Was allerdings meine wirkliche Vergangenheit und meine wahren Beweggründe betraf, so habe ich geschwiegen. Das wenige, was ich ihnen allen erzählt habe, war wohl ausreichend. Für Kim und all' die anderen hier im Wagenzug bin ich Dramur, der Wirt ihrer Schenke.'

Dramur sah verträumt auf diesen Treck von vierzig Wagen.

Angehörige der verschiedensten Rassen; Menschen und Nichtmenschen; hatten sich dieser seltsamen Expedition angeschlossen. Von einigen dieser Wesen hatte er einmal geglaubt, daß sie nur Märchengestalten waren.



'Ich mag zwar aussehen wie ein Wali.', fuhr Dramur in Gedanken fort.

'Und einige Leute, die Jalmur schon einmal begegnet sind, verwechseln mich mit ihm. Doch was soll's. Ich habe schließlich niemandem hier gesagt, was ich tatsächlich gemacht habe, bevor ich mich Kim anschloß. Keine Ahnung, wer von diesen Heimatlosen über meine bisherigen Taten wirklich bescheid wissen mag. Solange er sein Wissen für sich behält, ist es für mich auch ohne Bedeutung. Ich glaube auch nicht, daß jeder in diesem Wagenzug der ist, der er vorgibt zu sein. Doch das ist egal, solange sie in meiner Schenke Zuflucht gefunden haben und ich ihnen eine Art Heimat geben kann.'

----------



Die Sonne begann in einem warmen Rot hinter dem Horizont zu versinken. Es wurde Zeit, das Lager aufzubauen und die Schenke aufzumachen.



"Dramur!", rief Kim, als sie an ihm vorbei ritt.

"Halt mir einen Platz an der Theke frei."



"Natürlich Kim, und einen Schluck Met; wie immer." rief dieser fröhlich zurück.



"Alles klar. Dann sehen wir uns später."



"Ja!", sagte Dramur leise mit einem Blick auf die entstehende Wagenburg.

"Später werde ich euch alle im HYMGARD wiedersehen."





© Jürgen Preiß

Braunschweig 1995



Zu Andy'sClan-Seite
Zurück zum Inhaltsverzeichnis