Die Stadt...



In der Schänke war es laut. Krüge klirrten, Musikanten spielten und an jedem der vollbesetzten Tische versuchten sich Leute Gehör zu verschaffen. Mit Bedauern blickte ich in den leeren Bierkrug, denn der Wirt und die Schankmaid kamen mit den Bestellungen schon jetzt kaum noch nach.

"Und, Kim, was hast Du in letzter Zeit so erlebt?", meinte Raju, dem ich mondelang nicht mehr begegnet war. "Nun...", meinte ich, stellte den Krug zur Seite und musterte die am Tisch sitzenden Freunde,"...ich bin Stadtherrin geworden."

Schallendes Lachen klang mir entgegen. Damit hatte ich rechnen müssen, aber als Freunde würden sie mir schon zuhören. Und tatsächlich rückten sie zusammen und reckten erwartungsvoll die Köpfe vor. Gut so, dadurch konnte ich leiser sprechen. Joq stupste mich ungeduldig an.



"Also, es war zu der Zeit, als das Wasservolk die Wiederkehr der Strömung feierte. Ich hielt mich gerade in Tir Thuata auf und hatte mich bei einem Schmied verdingt. Außer Essen und Trinken gab es keinen Lohn, doch bekam ich zum Abschied guten Ersatz für meine schäbigen Klingen. Irgendwo würde es schon wieder Arbeit für mich geben, doch ich wollte mich vorerst noch ein wenig umsehen. Mein Weg führte mich zur Küste, denn das Meer übt ja schon lange eine große Anziehungskraft auf mich aus. Und so suchte ich mir eines Abends bewußt keine menschliche Behausung als Quartier, sondern beschloß, in einem kleinen Hain in Hörweite der See zu übernachten. Ich hatte mir ein etwas mageres Kaninchen gefangen, das ich mir im Feuer briet. Zu diesem Festessen gönnte ich mir ein paar Schlucke Met. Irgendwann wurde ich aber so müde, daß ich das Feuer löschte und neben der Glut einschlief.

Plötzlich wachte ich auf. Ein Geräusch... Mit einem Stöckchen stocherte ich in der Asche, und tatsächlich fand ich noch etwas Glut. Ich setzte mich auf, entfachte eine Flamme und horchte. Ein leises Stöhnen drang an mein Ohr. So leise wie möglich schlich ich mich in Richtung des Geräuschs. Da das Jammern ab und zu aussetzte, war das gar nicht so einfach. Doch schließlich entdeckte ich hinter einem liegenden Baumstamm eine Gestalt. Sie schien durchaus menschlich, war aber recht klein. Ein Kind? Mitten in der Nacht? Im Wald?

Das Wimmern hörte auf, dann erklang ein gepresstes Stöhnen. Sämtliche mir bekannten Göttinnen und Götter stumm um Beistand und Schutz anflehend näherte ich mich dem Wesen und kniete mich nieder. 'Was ist Euch geschehen?' fragte ich leise. Ein leises Jammern war die Anwort. Nun, hier im Dunklen konnte ich nichts tun. Vorsichtig legte ich mir das Menschlein über die Schulter - wie leicht es doch war, und was für eine 'Fahne' es doch ausatmete... - und ging zu meinem Lagerplatz zurück. Dort legte ich es auf meinen Umhang und fachte das Feuer an. Ein Kobold! Das Wesen sah eigentlich wirklich wie ein kleiner Junge aus, wären nicht die spitzen Ohren, die langen Haare und das erwachsen scheinende Gesicht gewesen, welches sich jedoch in diesem Moment wieder schmerzverzerrt verzog. Das gauklerartige Gewand war schmutzig und die Hose hatte einen langen Riß. Als ich das linke Bein berührte, wurde das Stöhnen lauter; der Kleine ruderte mit den Händen, wachte jedoch nicht auf. Vorsichtig schnitt ich mit dem Dolch das Hosenbein auf, und sah dann die Bescherung. Das Schienbein war gebrochen und hatte sich durch die Haut gebohrt. 'Ein Glück, daß der so besoffen ist', meinte ich kopfschüttelnd und begann den Knochen zu richten. Was war es doch gut, daß ich eine Zeitlang bei einem Heiler in die Lehre gegangen war.

Es dämmerte bereits, als ich die Wunde versorgt und geschient hatte. Aus dem vorbeifließenden Rinnsal schöpfte ich Wasser und wusch dem Kobold Schmutz und Blut aus dem Gesicht. Er begann nun langsam aufzuwachen und murmelte etwas wie 'Durst!'. Ich nahm den Becher und setzte ihn dem kleinen Mann an die Lippen. 'Wasser - bäh!', rief er und war schlagartig wach. Ich erschrak derart, daß ich zurückzuckte und den Becher fallenließ. 'Hast Du nichts ordentliches zu trinken?'

Im Moment war ich sprachlos... 'Heh, bist Du stumm?'

'Äh, nein...', meinte ich und setzte mich an die andere Seite des Feuers. 'Hast Du jetzt etwas zu trinken oder nicht?', meinte das Wesen und sah mich aus seinen dunklen Augen durchdringend an. Ich nahm meinen Becher, wischte ihn sauber und füllte etwas von meinem guten Met ein. Dann reichte ich dem Kobold den Trunk. Kaum war er angesetzt, war er auch schon wieder weg. 'Lecker! Mehr!', meinte der Kleine und streckte mir den Becher wieder hin. Ich fühlte mich sehr unbehaglich, wagte aber nicht, den Wunsch zu verweigern. 'Na ja, wenn es den Schmerz betäubt...', murmelte ich und füllte den Becher erneut. Der war so schnell geleert wie der erste, aber damit schien vorerst der Durst gestillt. Damit wandte sich sich das Wesen seinem Bein zu. 'Huh, ich muß einen ganz schönen Ruß im Gesicht gehabt haben...', meinte es angesichts des Verbandes und blickte mich wieder an.

'Wer bist Du, schöne Maid?', fragte er mich und ich nannte meinen Namen.

'Und wer seid Ihr?' - 'Das tut nichts zur Sache..., aber ich habe Dir wohl zu danken!', meinte der Kleine und sah mich durchdringend an. 'Nun, ich verstehe nur ein wenig von der Heilkunst..', murmelte ich und schlug die Augen nieder. Diesem Blick konnte ich nicht standhalten!

In diesem Moment glaubte ich ein Leuchten zu sehen, das über dem verletzten Bein lag. Erstaunt sah ich, wie der Kobold an dem Verband herumnestelte. 'Nein, Ihr dürft das noch nicht abnehmen!', rief ich und wollte ihn daran hindern. Aber er hatte die Schienung schon abgestreift und bewegte das Bein als ob nichts geschehen war. Zauberei! Erschrocken hielt ich inne!

Ich muß wohl sehr belämmert d'reingeschaut haben, denn der kleine Mann fing lauthals zu lachen an.

'Oh, ich muß ja ziemlich besoffen gewesen sein!' kicherte er und wackelte mit dem Fuß, 'sonst wäre mir das gar nicht passiert! Ach, hast Du noch etwas von diesem Met?' Immer noch etwas verdattert reichte ich ihm den Schlauch, und er hielt sich gar nicht damit auf den Honigwein in den Becher zu füllen...

Ein lautes Rülpsen zeigte mir an, daß wohl nichts mehr übrig war.

'Nun, ich habe Dir wirklich zu danken. Wer weiß, welches Tier sonst an mir genagt hätte - in dem Zustand...'

Er erhob sich. 'Kim Ní Máire, ich schenke Dir eine Stadt!'

'Das ist nicht wahr...', dachte ich kopfschüttelnd.

'Du sollst Herrin sein über Cor Bach. Verwahre gut das Dir Anvertraute!'

Und er begann sich auf den Weg zu machen... Er war schon im Begriff die kleine Lichtung zu verlassen, als ich rief: 'Wo finde ich diese Stadt?' Der Kobold drehte sich zu mir um, lachte und meinte: 'Da mußt Du schon in mein Reich kommen!'

'Wer seid Ihr?' fragte ich ihn nochmal.

'Arkan!' rief er fröhlich und verschwand zwischen den Bäumen.

Der Hügelprinz!

Und er hatte mir eine Stadt geschenkt. Ich schüttelte den Kopf und konnte es nicht fassen.

'Arkan!' rief ich, aber der kleine Mann kehrte nicht wieder..."



Die Freunde waren nun nicht mehr zu halten. Alles lachte und gluckste. "Der Hügelprinz hat ihr eine Stadt geschenkt", prustete Finyen. Im ersten Moment war ich etwas eingeschnappt, weil mir niemand Glauben schenken wollte. Tja, aber die Geschichte klang schon unglaublich, und so stimmte ich bald in das Lachen ein.

"Jalmur, willst Du nicht der Wirt meiner Stadt werden?", fragte ich und klopfte dem Wali auf die Schulter. "Wenn es Dir nichts ausmacht, daß er sein bester Gast wird?, meinte Myo-Castor, und alle stimmten in das Lachen ein.



Irgendwann in der Nacht kroch ich ins Stroh des Pferdestalles und dachte nach. "Und es ist doch wahr. Irgendwann werde ich meine Stadt finden!", murmelte ich, drehte mich auf die Seite und schlief ein.





© Andrea Schäfer

Erlangen, Juni 1995



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