Winterspiele


Vordis sah durch das kleine Guckloch nur ein Stück wolkenverhangenen Himmels. Sie seufzte... Da war sie ja ganz schön in die Scheiße getappt! Und nun hatte sie in diesem finsteren Kerkerloch nichts anderes zu tun, als auf ihr Urteil zu warten.
Bitterkalt war es, und sie schlug fröstelnd die Arme um sich. Auf dem Strohhaufen saß eine Ratte, die sie mit leuchtenden Knopfaugen ansah. Vordis trat nach dem Tier, daß sich jedoch, ohne getroffen zu werden, fiepend in den Schutz der Dunkelheit davonmachte. Die junge Wali ließ sich auf den muffig riechenden Strohhaufen fallen und versuchte zu schlafen...

Es hätte ein lustiger Abend in Aberlugh werden können. Kaum war die Dunkelheit hereingebrochen, strömten die Bewohner und Gäste des albyonischen Städtchens in die Kneipen und Gasthäuser. Bestand schon die Bevölkerung aus einem bunten Gemisch von Albyonys und Walis, so sah man an diesem Abend Vertreter aller möglichen Völker durch die Straßen und Gässchen ziehen. Im Hafen lagen viele Schiffe, und nicht nur Vordis hoffte, daß deren Besatzungen genug Geld in den Taschen hatten.
Sie hatte sich als Schankmaid im "Reafan" verdingt, einem Gasthaus, in dem hauptsächlich Kaufleute und Händler, aber auch betuchte Seefahrer Verpflegung und Unterkunft fanden. Vordis erfüllte ihre Aufgaben auch gut, doch viel mehr als das freie Essen und die kleine Kammer konnte man mit dieser Arbeit nicht verdienen.

Doch die junge Frau hatte einen Traum: Sie wollte ein Fischer-Boot kaufen, und mit dem Fang Handel treiben! Ihre Brüder hatten sie ausgelacht: "Eine Frau will zur See fahren! Schlag Dir das aus dem Kopf! Irgendwann nimmt Dich ein Mann, und dann stehst Du brav am Feuer und versorgst Deine Familie..." Doch das war nicht ihre Zukunft! Sie wollte keinen Mann, sondern ein freies Leben führen.
Und als das Gespött ihrer Brüder immer lauter wurde, verließ sie eines Nachts ihr Heimatdorf am Hymir, um ihr Glück zu suchen. Doch das Glück war nicht leicht zu finden. Sie fand zwar leicht eine Anstellung, doch mit normaler Arbeit würde sie nie ihr Schiff kaufen können. Und wie sie auf ihren Reisen bemerkt hatte, besaß sie eine gewisse Fingerfertigkeit. Natürlich dauerte es es seine Zeit, und sie schwitzte oft Blut und Wasser, aber sie lernte mit der Zeit so manchen Kaufmann von seinem Baren zu erleichtern, besonders wenn diese, voll des Mets oder Bieres, nicht mehr auf ihre Börsen achtgaben. Und wenn einer nun doch einmal den Griff am Beutel spürte, hatte sie es immer geschafft, die Situation mit einem Scherz oder koketten Augenaufschlag zu entschärfen. Männer waren ja so leicht abzulenken und zu beeindrucken! Nie wäre einer auf die Idee gekommen, daß ein hübsches Mädchen wie sie ihn bestehlen wollte.
Trotzdem war sie vorsichtig. Nie blieb sie lange in einer Anstellung, und sie achtete darauf, nur Fremde und keine Einwohner von Aberlugh auszunehmen.
So hatte sich inzwischen ein ansehentliches Sümmchen in ihrem Beutel angesammelt, den sie gut in der Strohmatratze ihrer Kammer versteckt hatte. Und trotzdem würde es nicht reichen, ihren Traum zu erfüllen...

An jenem Abend nun ging es hoch her im "Raefan". Es war Marktfest in der Stadt, und so waren besonders viele Händler und Seeleute unterwegs, um sich gutes Essen und mancherlei Zerstreuung zu genehmigen. Der Wirt des "Raefans" hatte zu diesem Anlaß ein paar Spielleute aufgetrieben, um die Stimmung und damit den Umsatz anzuheizen. Vordis hatte viel zu tun, sodaß sie sich nicht wie gewöhnlich ihre Opfer aussuchen konnte. Trotzdem juckte es sie in den Fingern. An einem der langen Tische hatte sich eine ganz merkwürdige Bande niedergelassen. Alle waren aufwendig gekleidet, wenn auch zu manchen der Aufzug nicht so recht paßte. Einige von ihnen fielen ihr besonders auf: Einer trug eine Augenklappe, und ein anderer eine breite Narbe quer über die rechte Wange. Eine Frau sah furchtbar jung aus in ihrer Männerkleidung, doch ihre Augen drückten aus, daß sie schon viel Grausames gesehen hatten. Der Anführer des Haufens war auch eine Frau. Unter einem breiten Federhut kringelten sich kurze Locken. Ihr roter Rock war von teurem Stoff, hatte aber erkennbar schon bessere Tage gesehen. Obwohl sie mit ihren Leuten scherzte, strahlte sie doch etwas Düsteres aus.
"Ne, nichts für mich", dachte sich Vordis, als sie am Ausschank volle Krüge holte.
Doch ein anderer Tisch sah vielversprechend aus. Der junge blondhaarige Mann war vornehm gekleidet, vielleicht ein Sproß eines Handelsherrn. Seine Begleiter wirkten unscheinbar, doch sein Gegenüber schien ähnlich gestellt zu sein wie er. Nun, dem Jungen würde der Beutel schon locker sitzen, wenn sie ihm noch mehr Wein brächte...
Doch Vordis kam vorläufig nicht dazu, den Jüngling zu "erleichtern", denn es war einfach zu viel zu tun. Die Musikanten spielten, als ob es um ihr Leben ginge - und vielleicht tat es das ja auch. Die Stimmung im Gasthaus wurde immer ausgelassener, besonders als eine Tänzerin begann, durch die Reihen zu wirbeln. Vordis hatte langsam Mühe, die Getränke und das Essen zu verteilen. Und doch dachte sie bei der Arbeit an die Börse des jungen Mannes, die sicherlich gut gefüllt war. Und schließlich kam der Moment. Sie beugte sich über dessen Tisch, um abzuwischen und die leeren Krüge einzusammeln und gleichzeitig wanderte ihr kleines Messer zu dem Beutel, der unter der Schärpe des Mannes hervorlugte. Fast schon hatte sie das Band durchgeschnitten, als auf einmal eine Hand ihr Handgelenk packte und es grob wegdrehte. "So, meinen Herrn bestehlen! Das hast Du Dir wohl leicht vorgestellt, wie?", meinte der Leibwächter, stand auf und schob Vordis mitten in den Schankraum. Der andere Begleiter des Blonden stellte sich vor sie und gab ihr eine schallende Ohrfeige. Die Musiker hörten auf zu spielen und mit einem kläglichen Fiepen verklang auch die letzte Flöte. Der Jüngling war inzwischen aufgestanden und musterte Vordis mit verachtendem Blick. Der Wirt kam herangeschlichen und meinte unterwürfig, daß es ihm leid tue, und daß er von nichts gewußt habe. "Scheinheiliger Trottel", dachte sich Vordis, "als ob er sich nicht beim Abrechnen durchaus zu seinen Gunsten verrechnete." Und sie sah den jungen Mann trotz der brennenden Gesichtshälfte trotzig an. "Den Neffen des Landvogts bestiehlt man nicht - abgesehen davon, daß man überhaupt nicht stehlen sollte...", sagte dieser nun mit blasiertem Gesichtsausdruck, und gab den Leibwächtern einen Wink, daß sie Vordis fortschaffen sollten. "Solange sie im Kerker sitzt, kann ich mir ja eine hübsche Strafe ausdenken." Und er wollte sich zu seinem Tisch zurückbegeben. Doch da stand plötzlich die Anführerin jener merkwürdigen Bande vom langen Tisch, und deren Leute hatten sich so postiert, daß niemand, und schon gar nicht die Leibwächter mit Vordis, das Gasthaus verlasssen konnte. "Wer wird denn das arme Ding in den Kerker werfen. Ihr habt soviel Geld, da ist doch nur recht, wenn Ihr ein wenig davon abgebt", meinte sie und grinste das Mitglied des niederen Adels breit an. "Ihr Piratengesindel haltet natürlich zu dieser kleinen Diebin. Euch sollte man am nächsten Baum aufknüpfen!" meinte der junge Mann hochnäsig. "Wie habt Ihr uns genannt: Piratengesindel?", grinste sie immer noch ganz ruhig, "Leute, wie findet ihr das?" Die fanden das gar nicht fein, wie man ihrem Gemurmel und ihren Rufen entnehmen konnte. Einer meinte sogar, sie seien schließlich freie Händler wie jeder andere hier. Während die Piratin ihr Rapier zog und es dem jungen Mann unter die Nase schob, inszenierten ihre Leute eine Schlägerei, wie man sie im "Raefan" schon seit dem letzten Marktfest nicht mehr gesehen hatte. Da in dem Gasthaus ja nicht nur hoheitsgläubige Beamte, sondern auch um Eigenständigkeit bemühte Händler saßen, teilten sich die Lager schnell auf. Da gab es diejenigen, die dem Landvogt - und sei es auch nur seinem Neffen - schon lange eins auswischen wollten. Dann gab es die, die für ihren Landvogt - und sei es auch nur für seinen Neffen - streiten wollten. Und dann gab es noch die Piraten und ein paar spontan Entschlossene, die einfach nur ein bißchen Spaß haben wollten.
Schemel und Krüge flogen durch die Luft, unter und neben den Tischen balgten sich Leute, Nasen und Finger brachen, so manches Messer hinterließ blutende Andenken, Augen wurden erst rot und dann blau, Kleider zerissen, Zehen wurden gequetscht. Die Tänzerin und die Spielleute hatten sich auf die Galerie gerettet, waren jedoch auch dort nicht sicher, denn so mancher Kämpe wollte von oben ins Geschehen eingreifen und stürzte sich ins Getümmel. Erst zaghaft, dann jedoch immer lauter stimmten die Musikanten ein lustiges Lied an, sodaß nur noch ab und zu ein Schmerzenslaut die Musik übertönte. Der Wirt und die Wirtin hatten sich hinter der Theke versteckt, und lugten ab und zu ängstlich hervor.
"Die Schergen kommen!", brüllte jemand plötzlich.
Es war kaum zu glauben, wie schnell sich das Gasthaus leerte. Alles lief, humpelte oder kroch so schnell wie möglich von dannen. Zurück blieben nur ein paar Bewußtlose und ansonsten ein Bild der Verwüstung...
Der leicht lädierte Neffe des Landvogts - die Piratenkapitänin hatte ihm lediglich einen Schmiß verpaßt - kam aus seinem Versteck, einem alten Weinfaß, und begann fürchterlich zu schimpfen. Seine einzige Genugtuung war, daß sein Leibwächter die Diebin irgendwann doch abgeführt hatte. Das würde sie ihm büßen...
Bis die Schergen zum Hafen liefen, um auch die Piraten festzusetzen, war deren Schiff längst ausgelaufen...

Vordis schrak auf, als der Riegel der Tür ihres Verlieses geöffnet wurde. Ein Wärter warf ihr ein Stück Brot zu und stellte einen Napf mit Wasser ab und meinte: "Wart' nur, morgen wird sich entscheiden, was mit Dir geschieht. Ein wenig Folter wird Dir schon nicht schaden!" Hämisch lachend warf er die Tür zu und verriegelte sie.
Die junge Wali war verzweifelt. Mit Beutelschneidern wurde nicht viel Federlesens gemacht - und dabei hatte sie dem hochnäsigen Jüngling noch nicht einmal etwas gestohlen!
Es war gut, daß es so dunkel in ihrer Zelle war, so daß sie die Würmer im Brot nicht sehen mußte...

Die "Rinceoir" hatte gar nicht unweit von Aberlugh in einer winzigen Bucht geankert. Das kleine Schiff eignete sich hervorragend zu solchen Versteckspielen. Pat O'Malley stand an der Reling und sah ins Nichts, als ihr Quartiermeister neben sie trat. "War doch ein Mordsspaß!", meinte er grinsend. "Ja, ich hätte auch nicht gedacht, daß der Abend so vergnüglich enden würde - wenn nur die Arbeit auch so vergnüglich wäre... ", sinnierte die Kapitänin. Der harte Winter machte einem das ganze Geschäft kaputt... Arne lehnte sich nun auch auf die Reling und sah ins Wasser. "Ist ja schon weit gekommen mit uns, wenn wir sogar das Gesparte wie einfache Kaufleute verticken müssen. Die Leute murren auch schon. Da war die Abwechslung gestern gar nicht schlecht... Was meinst Du, ist wohl aus dem Mädel geworden, daß diesen lästigen Gecken beklauen wollte?" Pat drehte sich zu ihm um: "Wird wohl im Kerker gelandet sein. Vielleicht hat sie ja auch inzwischen eine Hand weniger."-"Eigentlich schade um das junge Ding - meinst Du nicht, wir sollten sie 'rausholen?", fragte Arne. "Hast wohl ein Auge auf sie geworfen, was? Meinetwegen, schnapp Dir ein paar Leute und bring' sie her - wenn sie will. Und ich sage Dir eins: Herumgehurt wird an Bord nicht!" Arne grinste, meinte "Es muß ja nicht an Bord sein...", und verschwand pfeifend. Pat drehte lehnte sich wieder auf die Reling, betrachtete den Stein an ihrer Kette und versank in seinem Schwarz...

Arne, Rica und noch einige Leute schlichen sich bei Dunkelheit von der Hafenseite her in die Stadt. Durch ihre Rundgänge an den Vortagen wußten sie, wo die Schergen ihr Quartier hatten. Und wo die Büttel saßen, würde der Kerker nicht weit sein...

Vordis erwachte. Ein Kratzen, als ob etwas die Mauer entlang schabte. Und in der mondhellen Nacht sah sie einen Schatten an ihrem Guckloch! Sie richtete sich auf, und das Stroh raschelte. "Pscht!", machte es draußen, "Kleine Diebin, bist Du da drin?" Vordis nickte unwillkürlich und trat zu dem Lichteinlaß. "Wir dachten, wir holen Dich da besser raus, bevor Du verschimmelst!", flüsterte Rica. "Ja, gerne, aber wie?" fragte Vordis, bevor die Piratin sie mit einem "Pscht!" zum Flüstern gemahnte. "Laß das mal unsere Sorge sein - es kann aber ein wenig dauern." Arne, der Rica die Räuberleiter machte, murmelte von unten, daß sie lieber nicht so viel quatschen, sondern lieber herunterkommen solle - sie sei nämlich keine Feder. Die Piraten verschwanden in der Nacht, und Vordis lief auf und ab und wartete darauf, was geschehen würde...

Die beiden Büttel hatten Nachtwache und schlenderten durch die Unterstadt. Der eine prahlte gerade damit, was die dralle Wirtin des "Leon" mit ihm auf dem Heuboden angestellt hatte, als aus einer dunklen Seitengasse zwei Männer von hinten auf sie stürzten, und ihnen, noch bevor sie einen Schrei ausstoßen konnten, die Hälse umdrehten. Die beiden Männer verschwanden mit den leblosen Körpern in der Dunkelheit... und wenig später setzten zwei Ordnungshüter ihren Gang durch den Ort fort, um zur Ablösung wieder im Quartier zu sein.

Die drei Schergen saßen um den einzigen Tisch im Vorraum des Gefängnisses und würfelten. Daß Cedric merkwürdig häufig gewann, war den beiden anderen nach einiger Zeit doch aufgefallen. Da Cedric aber der Stärkste von den Dreien war, schimpften sie nur ein wenig vor sich hin. Das Spiel abbrechen mochte aber auch keiner von ihnen, denn wie hätte man sonst die Wache überstanden...
Es klopfte, und noch bevor Ban "Herein" rufen konnte, trat eine junge gutgebaute Frau in den Raum. Ihr Kleid war ihr erkennbar zu eng, sodaß die Brüste beinahe aus dem Mieder hüpften. Während den beiden anderen noch die Augen aus den Höhlen sprangen, hatte sich Cedric schon wieder in seiner Gewalt - jedenfalls beinahe. "W..was wollt Ihr denn hier, schöne Frau?, stammelte er. "Nun, ich bin noch nicht lange in der Stadt und habe mich verlaufen...", säuselte das Mädchen und wand sich ein wenig, "... und da dachte ich mir, die Schergen können einem doch am besten den Weg zum Gasthof zeigen." Sie schlug kokett die Augen nieder und schob sich das Kleid zurecht. "Oh, ich bringe Euch gerne nach Hause!", rief Ban eifrig und nickte mehrmals. "Wenn hier jemand die Dame nach Hause begleitet, dann bin ich das!", grollte Cedric und stand auf, "Du machst nämlich mit Duncan den nächsten Rundgang, wenn die anderen wieder hier sind!" Ban wollte etwas sagen, verkniff es sich dann aber doch lieber. In dieser Stimmung war es ratsam, so klein wie ein Mäuschen zu werden...
Und noch bevor irgendjemand wieder etwas tun oder sagen konnte, schob Cedric die Frau zur Türe hinaus, wobei seine Hand wie zufällig über ihren Hintern strich...

Nun, weit kamen die beiden nicht. Schon in der nächsten Gasse bekam der Ordnungshüter einen dicken Holzprügel auf den Schädel und Rica trat ihm ins Gemächt. "So ein alter Lustmolch, geschieht ihm recht!", meinte sie, nachdem sie ihn zu dritt hinter ein paar Fässern versteckt hatten. Cedric würde lange schlafen...
Die beiden anderen Wachen zu überwältigen, war dann eine der leichtesten Übungen für die Piraten, zumal auch die beiden Verkleideten inzwischen zu ihnen gestoßen waren. Die Suche nach den Schlüsseln dauerte dann aber doch länger als erwartet, denn Cedric hatte sie ausgerechnet in einem Bierkrug versteckt. Doch schließlich hatte man Vordis befreit und die beiden Schergen sorgfältig eingekerkert.
"Und was jetzt?", fragte die Wali und sah ihre Befreier mit großen Augen an. "Nun, Du kannst sehen, wo Du bleibst. Du kannst aber auch mit uns kommen und lernen, wie man Leuten richtig etwas wegnimmt.", meinte Arne. "Wir sollten erst mal sehen, daß wir hier schleunigst verduften!", meinte Rica und hatte wie meistens recht. Aus der Stadt zu kommen, hätte so einfach sein können, wenn nicht Vordis auf einmal gesagt hätte: "Mein Geld!" So erfuhren die Piraten, daß in der Kammer des "Reafan" noch Vordis' Vermögen lagerte.
Vordis hatte es sich nicht nehmen lassen, selbst ihren Beutel zu holen, und war in ihre Kammer im Gasthaus geklettert. Doch so sehr sie auch suchte, das Geld war weg! Enttäuscht sah sie aus dem Fenster und meinte: "Stellt Euch vor, man hat mich beklaut!" Alle brachen in Lachen aus. "Eine Diebin bestohlen!, prustete Rica. "Aber machen wir, daß wir fortkommen. Man hat uns jetzt sicher gehört!", wurde sie schlagartig wieder ernst.

Und so kam es, daß Vordis an Bord der "Rinceoir" der Kapitänin vorgestellt wurde.
Pat O'Malley hatte sich auf den einzigen Stuhl in ihrer Kajüte gefläzt und die Füße auf dem Tisch. Die verschüchterte Vordis erzählte von ihrem Wunsch, zur See zu fahren, der sich jedoch ohne Geld nicht erfüllen würde. "Fische kannst Du auch bei uns fangen - sie sind nur ein wenig schwerer zu erwischen und wehren sich - manchmal. Aber Du wirst Dich bewähren und eine Menge lernen müssen. Und zieh Dir erstmal 'was Anständiges an!" Pat stand auf, wühlte in ihrer Gewand-Kiste und warf der Wali ein Hemd und eine Hose zu. "So, nun mach' Dich in der Kombüse nützlich, damit wir etwas zum Abendbrot bekommen."

Als Pat später an der Kombüse vorbeiging, hörte sie, wie Arne drinnen auf das Mädchen einredete. "Ach, nun zier Dich doch nicht so. Bist doch ein hübsches Ding!" Da hörte sie ein Klatschen und ein Treten. Arne rief erst "Au!", stöhnte dann fürchterlich und kam rückwärts durch die Schwingtür herausgetaumelt. Pat wich blitzschnell aus, sodaß Arnes Fall von der Kajütenwand abgebremst wurde, an der er langsam nach unten rutschte und benommen sitzen blieb. "Keine Hurerei an Bord!", lachte Pat ihren Quartiermeister aus, "... mir scheint, die Kleine paßt zu uns!" Und breit grinsend ging sie hoch an Deck.


© Andrea Schäfer
Meerbusch, im August 1997


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